Viktor und Viktoria
VIKTOR UND VIKTORIA
Die 1933 uraufgeführte musikalische Komödie Viktor und Viktoria ist eine mit Reinhold Schünzel in Potsdam-Babelsberg gedrehte Verwechslungs- und Geschlechterkomödie und zeigte noch einmal den freien Geist der Weimarer Republik, kurz bevor der Nationalsozialismus die Filmindustrie gleichschaltete. Seither hat es weltweit Remakes des Films gegeben.
VIKTOR UND VIKTORIA
R: Reinhold Schünzel, D: Renate Müller, Hermann Thimig, Adolf Wohlbrück, D 1933, 99‘
EINFÜHRUNG ZUM FILM
VIKTOR & VINKTORIA
Guido Altendorf
Filmmuseum Potsdam
(Redemanuskript)
- Aufgrund der Popularität des Filmes und der diversen Neuverfilmungen wird dem Original von 1933 ein Status in queeren Filmografien zugeschrieben, den man hinterfragen sollte. Ich will das kurz versuchen.
- Da wäre zunächst die Legende, die den Film mit dem „offenen“ Weimarer Kino in Verbindung bringt - im Gegensatz zu dem, was danach kam. Das trifft nur zum Teil zu: Wirklich „offen“, sprich: zensurfrei, war das Weimarer Kino nur zwischen 1919 und 1920
- Mit der Einführung des Reichslichtspielgesetzes am 12. Mai 1920 gab es wieder eine Zensurbehörde und diese griff durchaus erheblich in die Aktivitäten des Filmwesens ein
- Die komplette Neuformulierung des Gesetzes durch die Nationalsozialisten, ausgegeben am 16. Februar 1934, war im Vergleich natürlich eine unvorstellbar striktere Regelung,die die Filmproduzenten und Verleiher in ihren Aktivitäten erst einmal lähmte, da noch nicht ganz klar war, was das in der Umsetzung bedeuten würde
- Das schlug sich hier und da heftig in der nachlassenden Produktionsaktivität der Filmfirmen nieder, hinzu kam der Aderlass an künstlerischem und technischem Personal, den vor allem der Ausschluß jüdischer Mitarbeiter bedeutete und der bereits kurz nach dem Machtwechsel (zugunsten der Nationalsozialisten begann)
- … oftmals auf Druck von oben, aber auch in vorauseilendem Gehorsam der Film- und Verleihwirtschaft
- „Viktor und Viktoria“ entstand von September bis November 1933 und hatte am 23. Dezember 1933 seine Premiere, also noch vor Inkrafttreten dieses neuen Lichtspielgesetzes, aber lange nach der Goebbels-Rede zur Ausrichtung des deutschen Filmwesens am 28. März 1933
- Das macht den Film nur in gewisser Weise zu einem Überläufer aus der Weimarer Zeit in die des Nationalsozialismus!
- Es darf nicht vergessen werden, dass es sich bei „Viktor und Viktoria“ nicht um eine Billig-Produktion für den schnellen Gebrauch und schon gar nicht für ein „Nischenpublikum“ handelte, sondern es war ein sehr teurer A-Film der Ufa, einer erzkonservativen, urkapitalistisch organisierten Filmproduktion (die zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht verstaatlicht war)
- … und die sich aus Angst sehr schnell den neuen Herren andiente, in ihrer Personalpolitik und mit zwei Filmen: „Hitlerjunge Quex“ (September 1933) und „Du sollst nicht begehren“ (Oktober 1933), die also noch vor „Viktor und Viktoria“ laut ins neue ideologische Horn bliesen
- Wie kam es also, dass dennoch ein Film entstehen konnte, der heute als der Inbegriff des mehr oder weniger explizit mit Geschlechterrollen spielenden Kinos gilt?
- Bei genauem Hinsehen, löst die Story des Films das eigentlich gar nicht ein: Dass die Heldin Susanne auf der Bühne zum Mann wird, der eine Frau spielt, hebt den Gag durch seine Verdoppelung im Grunde auf und macht den Weg frei für eine rein heterosexuelle Liebesgeschichte mit einigen für Susanne zu überwindenden Hindernissen.
- Publikumsliebling Renate Müller entsprach durch und durch der damaligen Vorstellung von Weiblichkeit und das wird auch durch Auftreten und Maske absichtlich nicht relativiert. Die Fallhöhe von Susanne zu Viktoria und zurück zu Susanne ist nicht groß
- Fußnote: Die damals sehr populäre, eher androgyn zu nennende Dolly Haas war eigentlich auf Rollen dieser Art abonniert und hätte dem Viktor(Sternchen)ria eine ganz andere Dimension verliehen
- Der Film „Der Page vom Dalmasse Hotel“ mit Dolly Haas in einer entsprechenden Rolle hatte übrigens nur wenige Wochen zuvor Premiere
- in unserem Film entdeckt Susannes Angebeteter Robert sehr früh in der Story den Schwindel um den „hübschen Jungen“ und er setzt Susanne, respektive Viktor, einer Folge von Demütigungen aus: Whiskytrinken, Pfeife rauchen, sich rasieren lassen, die als komisch zu gelten haben. Dass sie das mit sich machen lässt, hat den Grund, dass sie sich in Robert verliebt hat und natürlich hat sie außerdem keine Lust, wieder ein Leben als stellungslose Schauspielerin zu führen.
- Der echte Viktor erpresst sie in dieser Hinsicht, da er vom Erfolg Susannes, sozusagen als „Parasit“ profitiert
- Das klingt sehr grimmig und reaktionär, aber die hinreißende Umsetzung dieses Plots als sehr unernstes, über weite Strecken wirklich komisches Singspiel verhindert das.
- Immerhin haben wir es hier nicht mit Charakteren, sondern mit Typen zu tun, deren einzige Verankerung in der Realität die Ausgangssituation des Ganzen ist: Arbeitslosigkeit
- Und das ist ein, dem Publikum längst vertrautes Subgenre dieser „Travestielustspiele“: Zeitweiser Geschlechterwechsel, nicht aus der individuellen Notwendigkeit heraus, sondern aus sozialer Not.
- Ich möchte hierzu zwei weitere, wunderbare Beispiele aus den 1930ern erwähnen, den österreichischen Film „Peter“ (1934) und den in jiddischer Sprache gedrehten, polnischen Film „Jidl mitn Fidl“ (1936). In ihnen wird die soziale Lage weitaus verschärfter und eindringlicher geschildert, und das bedeutet auch, dass die Motivation für den Rollenwechsel viel besser funktioniert
- … es ist in diesen „Depressionskomödien“ übrigens immer Frau zu Mann während es auf der Bühne – siehe „Charleys Tante“ – nicht sozial, sondern familiär motiviert, auch anders herum geht
- Ebenso in den entsprechenden Filmen der letzten 30 - 40 Jahre: Ich erinnere an „Tootsie“ (1982) mit Dustin Hoffmann und „Mrs Doubtfire – Das stachelige Kindermädchen“ (1994) mit Robin Williams
- Das letztendliche Scheitern der weiblichen Heldin an den Anforderungen der Männerwelt müsste in den 1930er Jahren eigentlich für das Publikum quälend und tragisch sein, wenn das komische Potential nicht aus der damals vorherrschenden Vorstellung, dass sich eine „Frau sich nicht wie ein Mann benehmen sollte“ gewonnen würde
- Es darf dabei nicht vergessen werden: diese Travestiekomödien beruhen auf einer, vielleicht nicht rechts-reaktionären, aber doch immerhin sehr bürgerlichen Norm von Geschlechterzuschreibungen. Alles was davon abweicht, hat in dieser Logik als komisch zu gelten.
- Und da ist auch „Viktor und Viktoria“ leider keine Ausnahme! Ursprung dieses Film-Subgenres ist der Theaterschwank, der den Verkleidungseinfall häufig für Verwicklungen und Story-Volten benutzt.
- Haupt-Thema und Motor eines Schwanks ist die Angst seiner kleinbürgerlichen Protagonisten vor der Bloßstellung vor der Gesellschaft. Und einen solchen Schwank mit genau dieser Motivation haben wir in „Viktor und Viktoria“ in Reinkultur.
- Schwänke gehörten damals (auf der Leinwand und im Theater) zum kulturellen Alltag, in unserer Gegenwart sind sie von den Bühnen so gut wie verschwunden und die Storymuster sind nicht mehr Allgemeingut.
- Verkleidungsscherze wie in „Viktor und Viktoria“ gibt es auch im weiteren Kino des Nationalsozialismus, ohne dass die Zensurbehörde daran Anstoß nahm. Der Film bekam sogar das Prädikat „Künstlerisch“ zugesprochen und die Kritik im „Völkischen Beobachter“ war euphorisch.In Opposition zu den nationalsozialistischen Richtlinien war der Film also keineswegs
- Dass wir heute in „Viktor und Viktoria“ immer noch etwas Besonderes sehen, hat sicherlich zum einen mit den zahlreichen Neuverfilmungen zu tun, von denen die letzte aus dem Jahr 1982 immerhin die Themen Homosexualität und cross dressing integriert
- … und die aus Versehen und durchaus irrtümlich, quasi aus Unkenntnis heraus, das Original zum Inbegriff der Freizügigkeit der sogenannten „Goldenen Zwanziger“ macht
- Es hat auch damit zu tun, dass wir heute wissen, dass der Darsteller des Robert, Adolf Wohlbrück, homosexuell war, aber das war in den Dreissigern ganz und gar nicht bekannt
- … es hat auch damit zu tun, dass Textdichter Bruno Balz ein schwuler Aktivist war, der Magnus Hirschfeld nahe stand und der in der NS-Zeit zweimal im KZ saß, die braunen Jahre aber glücklicherweise überlebte
- Es hat ebenfalls damit zu tun, dass extrem erfolgreiche Regisseur Reinhold Schünzel als sogenannter Halbjude galt, für den eine Arbeitserlaubnis für jeden Film extra beantragt werden musste
- In späteren Filmen hat er sich, trotz des ständig lauernden Berufsverbots, weit aus dem Fenster gelehnt. In „Amphitryon“ (1935) macht er sich über die Sexualmoral und Impotenz der
Herrschenden lustig, in diesem Fall ist es Jupiter (oder Jup-Hitler) höchstpersönlich und noch weiter ging er in „Land der Liebe“ (1937), der bei Goebbels zu einem Tobsuchtsanfall führte. Überliefert ist sein Ausruf „Das hat dieser Jude mit Absicht gemacht!“
- ... Der Regent eines Operettenstaates taucht nach einem Attentat mit Knallfröschen unter und wird ausgerechnet durch den Attentäter ersetzt, der in seiner neuen Rolle als König nun lange fällige Reformen in Angriff nimmt
- Beide Filme beruhen auf dem Grundeinfall des zeitweisen Identitätswechsels, im Grunde genommen einer Verkleidung – nur eben in diesen Fällen nicht von Frau zu Mann, aber der dramaturgische Grundeinfall ist derselbe wie in „Viktor und Viktoria“
- Beide: Adolf Wohlbrück und Reinhold Schünzel, haben es 1937/38 gerade noch aus Deutschland heraus geschafft. Wohlbrück ging nach Großbritannien, Schünzel in die USA. Auch der Produzent Alfred Zeisler verließ 1936 Deutschland
- Obwohl „Viktor und Viktoria“ heute vielleicht nicht unbedingt die Anfordungen an einen „queeren Film“ erfüllt, wenn er dennoch so gesehen werden kann und vielleicht sogar von einigen im damaligen Publikum so gesehen wurde (Aber das ist Spekulation), spricht das natürlich nicht gegen ihn!
- … bleibt er doch ein inszenatorisches Meisterstück! Es gibt keine Szene ohne wenigstens eine gute Idee, beachten Sie einmal, wie präzise die Blickwechsel inszeniert sind. Der Film ist flüssig und temporeich. Die teilweise gesungenen Dialoge münden in hübsche, sehr eingängige Schlager, die opulente Ausstattung (übrigens vom zukünftigen „Reichsbühnenbildner“ Benno von Arent) und die grandiose Kameraführung (des russischen Exilanten Konstantin Tschet, der übrigens kurz zuvor den „Hitlerjungen Quex“ fotografiert hatte) sind absolute Spitzenklasse!
- Was ich persönlich an dem Film ausgesprochen reizvoll-anzüglich finde, ist das eindeutige, begehrliche Interesse von Damen gesetzten Alters „an dem hübschen Jungen“ Viktoria. Das kann man sich in seiner Fantasie weiterdenken, wenn man will… und zumindest dann wären wir wirklich bei unserer heutigen Vorstellung von der laxen Moral der 1920er
- Aber jetzt erst einmal viel Vergnügen mit einem echten Musical-Klassiker, auch wenn es damals in Deutschland diesen Begriff noch gar nicht gab!
Gezeigt und vorgetragen im Rahmen des 1. Filmerbefestivals "Als QUEER schwarz-weiß war" im Filmmuseum Potsdam