Der § 175 in der DDR

Der § 175 in der DDR und ab 1968 der § 151 des StGB der DDR

In der im Jahr 1949 auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) gegründeten Deutschen Demokratischen Republik (DDR) galt nach einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichtes vom 28.03.1950 der § 175 in der Fassung der Weimarer Republik und der § 175a in der Fassung von 1935. Im neuen Strafgesetzbuch von 1951 wurden der § 175 und § 175a  in der oben genannten Version übernommen. Die Ungleichbehandlung von Homosexualität und Heterosexualität sah man auch in der unterschiedlichen Altersbegrenzung der Volljährigkeit. Obwohl die Volljährigkeit in der DDR ab 18 Jahren eintrat, galt sie im Bezug auf den § 175 immer noch mit 21 Jahren.

Im Jahre 1952 beschloss die SED den planmäßigen Aufbau des Sozialismus und der Ministerrat der DDR bildete eine Kommission, unter Vorsitz von Hilde Benjamin, zur Erarbeitung eines neuen Strafgesetzbuches. In diesem Gesetzbuch sollten die Sexualstraftaten von Homosexuellen und Heterosexuellen gleich behandelt werden. Die Novellierung des Strafgesetzbuches wurde wegen der Vorfällen von 1953 nicht in die juristische Praxis umgesetzt. In guter alter deutscher Tradition wurde 1954 der in Ungnade gefallene Justizminister Max Fechner wegen § 175 angeklagt und verurteilt. Als Nachfolgerin trat Hilde Benjamin ins Amt.

Im Jahre 1957 versuchte eine durch die Regierung einberufene Forschungsgruppe "Sexualverbrechen" einen Vorschlag zur Abschaffung des § 175 zu unterbreiten, dieser wurde aber 1959 von der Regierung abgelehnt und der § 175 blieb erhalten.

Im Jahre 1964 wurde erneut eine Kommission zur Erarbeitung eines neuen Strafgesetzbuches eingesetzt. Am 12.01.1968 trat in der DDR ein neues Strafgesetzbuch in Kraft. Im neuen Strafgesetzbuch war der § 175 abgeschafft. Dafür wurde der § 151 eingeführt. Der § 151 lautete: "Ein Erwachsener, der mit einem Jugendlichen gleichen Geschlechts sexuelle Handlungen vornimmt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Verurteilung auf Bewährung bestraft." Wenn man den § 151 genauer betrachtet, wurde der § 175 nicht abgeschafft, sondern liberalisiert, genau wie die Änderung des § 175 im Jahre 1969 bzw. 1973 in der alten BRD.

 

Die allgemeine Situation der LesbischSchwulen Organisationen der 1970er und 1980er der DDR und die Abschaffung des § 151
1976 wurde im Rahmen des Zivilrechts die Möglichkeit gegeben einen Verein zu gründen. Eine Lesben- und Schwulen-Gruppe in Ostberlin, Homosexuelle in Berlin (HiB), versuchten eine Zulassung als Verein zu bekommen. Diese Anträge wurden mehrmals vom Magistrat der Stadt Berlin abgelehnt.

Im Jahre 1982 veranstaltete die evangelische Akademie Berlin und Brandenburg eine Veranstaltung zum Thema Homosexualität. Während dieser Veranstaltung versuchten sich mehrere Arbeitskreise zu bilden. Einer dieser Arbeitskreise war der AK Homosexualität bei der Evangelischen Studentengemeinde (ESG) Leipzig. Bekannter Aktivist war Eduard Stapel. Bis 1989 gründete er an mehreren Orten der DDR Homosexuellengruppen unter dem Dach der evangelischen Kirche.

Ein gutes Mittel als Bürger der DDR Einfluss auf den Staat auszuüben war, das Recht Eingabe/Beschwerden an die Behörden und andere staatliche Einrichtungen zu richten. So haben in den 1980er Jahren verschiedene Homosexuelle Arbeitskreise mehrere Eingaben an den Rechtsausschuss der Volkskammer der DDR gerichtet, um zu erreichen, dass der § 151 abgeschafft wird. Ein weiterer Grund für das Aus des § 151 war ein Kassationsurteil des obersten Gerichts der DDR am 11.08.1987. Dabei wurde ein Urteil eines Kreisgerichts wegen § 151 kassiert. Beim 5. Strafrechtsänderungsgesetz wurde am 14.12.1988 beschlossen, dass u. a. der § 151 gestrichen wird. Diese Änderung trat am 01.07.1989 in Kraft. So wurde in der hemaligen DDR nach 171 Jahren die schwulenfeindlichen Gesetze § 175 und § 151 abgeschafft. Das Queere geeinte Deutschland musste noch bis 1994 warten.

Auch Filmschaffende der DEFA wie der Regisseur Heiner Carow versuchte mit dem Film "Coming Out" die gesellschaftlichen Verhältnisse für Lesben und Schwule in der DDR zu thematiseren und damit auch zu verbessern. Um die Erlaubnis für den Filmdreh durch das SED-Politbüro und das für die Kultur zuständige Mitglied Kurt Hager zu bekommen, war es notwendig zustimmendes Gutachten durch anerkannnte Personen der DDR beizubringen. Regisseur Heiner Carow wandte sich deshalbmit der Bitte um Hilfe an Dr. Volkmar Schöneburg, der damals Wissenschaftler am zentralen Institut für Philosophie war. Die Dreharbeiten konnten dann durchgeführt werden. Um es mit Lothar Bisky zu sagen: "Die Mauer ist offen. Das Coming out war in jeder Hinsicht perfekt. Die Wirklichkeit hatte die Kunst überholt." Alle nachfolgenden Zitate stammen aus dem Gutachten zur Befürwortung der Durchführung des Film "Coming Out" (Heiner Carow, 1989).

 

"Unwissenheit, Voreingenommenheit und Überkommene tradierte Denk- und Verhaltensweisen - auch bei staatlichen Leitern - sind der Anlaß, daß homosexuelle auch im Beruf nicht selten ein Doppeldasein leben oder Diskriminierung ausgesetzt sind."

"Es haben sich Umgangsformen ihnen gegenüber und zwischen ihnen auf einem niedrigen Kulturniveau und auch Subkulturen halten können. Damit wird u. a. auch das Feld für diverse kriminelle handlungen bereitet: Wir finden zu Beispiel Formen eines ausgedehnten Erpressertums, und öffentliche Bedürfnisanstalten, nicht selten Treffpunkte Homosexueller, werden zu Orten von Gewaltkriminalität gegen Homosexuelle."

"Der alte Mann erwähnte in seinem Gespräch mit der Hauptfigur auch das Verhalten deutscher Kommunisten zu Homosexuellen in den faschistischen Konzentrationslagern. Kommunisten und Homosexuelle haben - das ist eine geschichtliche Tatsache, die viele nicht mehr kennen - als Opfer der Nazifaschisten gemeinsam im KZ gesessen und dort nicht selten solidarischen gegen ihre SS-Peiniger gekämpft."

"Damit gewinnt das gesellschaftliche soziale Problem Homosexualität auch eine verfassungsrechtlcihe Dimension: Es werden wichtige Grundrechte unserer sozialistischen Verfassung verletzt und damit der verbindliche Humanismus unserer Gesellschaftsordnung."

"Homosexualität war für die KPD deshalb genauso menschlich und moralisch wie die Heterosexualiät. Die sozial destruktive und die ideologische Funktion der Diskriminierung Homosexueller vor Augen, formulierte die KPD ihren zutiefst humanistischen Standpunkt folgendermaßen: Die KPD lehnt jegliche Verpöhnung gleichgeschlechtlicher Handlungen ab."

 


Autor
Stephan Czibulinski
Geschichtswerkstatt queeres Brandenburg
2014


Quellen

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