Die Abschaffung des § 175
Der § 175 im wiedervereinigten Deutschland und Vorbereitung zur Abschaffung
In der 10. Volkskammer (1990) der DDR stellte die Fraktion Bündnis90/DIE GRÜNEN am 07.09.1990 im Rechtsausschluss einen Antrag, dass man eine gesetzliche Regelung trifft, die in einem geeinten Deutschland die Strafandrohung von gleichgeschlechtlichen Geschlechtsverkehr beendet. Auch die Fraktion der PDS wollte, dass der § 175 im ganzen Bundesgebiet abgeschafft wird und das gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften mit anderen Lebenspartnerschaften gleichgesetzt werden.
Im. 11. Bundestag (1987 - 1990) der alten Bundesrepublik hat die Fraktion DIE GRÜNEN in einem Erschließungsantrag vom 18.09.1990 begrüßt, dass es nicht zu einer Auswertung des § 175 auf ehemaliges DDR Territorium kommt. Gleichzeitig forderten sie strafrechtliche Gleichstellung von Homo- und Heterosexuellen in ganz Deutschland.
Im deutschen Einigungsvertrag wurde vereinbart, dass der § 175 in den Bundesländern der alten BRD und der § 149 StGB/DDR in den Bundesländern der ehemaligen DDR galt. Diese Art von Rechtsunsicherheit konnten selbst Konservative nicht mehr aufrecht erhalten und die Sexualstrafgesteze ,ussten reformiert werden.
Im 12. Bundestag (1991 - 1994) wurde im Koalitionsvertrag von CDU und FDP im Dezember 1990 beschlossen, dass im Rahmen der Veränderung der Sexualstrafgesetze der § 175 abgeschafft werde sollte. So hat die Bundesregierung am 18.03.1993 einen Regierungsentwurf zur Streichung des § 175 und des §149 StGB/DDR und die Veränderung des § 182 zu einer einheitlichen Schutzvorschrift für Jugendliche eingereicht.
Die Oppositionsparteien Bündnis 90/DIE GRÜNEN und die PSD/LL haben schon 1991 entsprechende Gesetzesvorschläge eingebracht. Bündnis 90/DIE GRÜNEN wollten die Abschaffung der §§ 175 und 182 StGB und gesamten Gesetze des 13. Abschnitts (Sexualgesetze) reformieren.
PDS/LL wollten die Streichung der §§ 175 und 182 StGB und § 149 StGB/DDR und den Verzicht auf eine neuerliche Festlegung eines besonderen Schutzes für Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren.
Im Jahre 1992 empfahl der Ausschuss für FRauen und Jugend des Bundesrats, gegen die Stimmen von Baden-Württemberg, Bayern, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, dass der Bundesrat dem Bundestag einen Gesetzentwurf einbringt, der unter anderem die Abschaffung der §§ 175 und 182 forderte und das der § 177 verändert werden sollte.
Außerhalb der Parlamente fanden Aktionen gegen den § 175 und andere Sexualstrafgesetze statt So fanden am 27.09.1990 in Berlin eine Demo gegen den § 175 statt. Zu dieser Demo haben mehrere Lesben- und Schwulenverbände aufgerufen. Aber es gab auch Widerspruch in den eigenen Reihen. So haben Flugblätter vom Schwulenreferat der FU Berlin und vom "Tuntenterror" aufgerufen nicht unter dem Motto "Hau weg den Scheiß, gegen § 175" zur Demo hinzugehen. Begründet haben sie es damit, dass es für Schwule nicht nur darum gehen kann, gleiche Rechte wie in einer patriarchalischen Welt lebende Hetersosexuelle zu verlangen, sondern mit anderen Minderheiten für eine emanzipatorische Welt zu kämpfen.
Die LesBiSchwulen Organisationen vertraten gegenüber den Behörden und Parlamenten die Ansicht, dass die §§ 175 und 182 StGB gestrichen werden sollten und das Höchstalter für den Schutz von Jugendlichen generell bei 14 Jahren liegen sollte. So auch der Schwulenverband in Deutschland (SVD), der Vorgänger des heutigen Lesben und Schwulen Verband Deutschland (LSVD).
Die Bundesfraktionen Die Linke und Bündnis 90/DIE GRÜNEN haben mit mehreren Anträgen im Laufe der Jahre die Rehabilitierung und Entschädigung der Männer gefordert, die nach 1945 wegen einvernehmlicher sexueller Handlungen verurteilt worden sind:
Fraktion Die Linke: Rehabilitierung für die Verfolgung und Unterdrückung einvernehmlich gleichgeschlechtlicher Handlungen in der Bundesrepublik Deutschland und der deutschen demokratischen Republik und Entschädigung der Verurteilten. (-BT-DRS 16/10944 v. 17.12.2008)
Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN: Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 in Deutschland wegen homosexueller Handlungen Verurteilten. (-BT-DRS 16/11440 v. 17.12.2008)
Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN: Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 in Deutschland wegen homosexueller Handlungen Verurteilten. (-BT-DRS 17/4042 v. 01.12.2010)
Fraktion Die Linke: Rehabilitierung und Entschädigung der verfolgten Lesben und Schwulen in beiden deutschen Staaten (-BT-DRS 17/10841 v. 26.09.2012)
Auszug aus der Begründung der Fraktion Die Linke zum "Antrag auf Rehabilitierung und Entschädigung der Männer, die nach 1945 wegen einvernehmlicher sexueller Handlungen verurteilt worden sind"
"Der Nationalsozialismus zerstörte die lebendige lesbische und schwule Kultur der Weimarer Zeit. Die Infrastruktur des kulturellen Lebens, der "lesbischen" und "schwulen" Kneipen, Tanzsäle, Varietés und Beratungszentren war unwiederbringlich zerstört. Zudem waren Lesben und Schwule bzw. Menschen mit einem gleichgeschlechtlichen Begehren nach 1945 eingeschüchtert und in ihrem Selbstverständnisschwer verletzt. Auch die, die den Nationalsozialismus überlebten und nicht direkt verfolgt wurden, waren oftmals in ihrer Psyche gebrochen - aufgrund der Verfolgung und Diskriminierung. Umso schlimmer wog, dass in beiden deutschen Staaten der Wiederaufbau einer lesbischen und schwulen Infrastruktur, die für eine lesbische, schwule und Transgenderkultur so entscheidend ist, verhindert wurde."
Entschuldigung des deutschen Bundestages 2010
Eine Rehabilitierung der Verurteilten nach § 175 StGB steht bisher aus, dafür entschuldigte sich der Bundestag mit folgender Resolution:
"Der deutsche Bundestag hat am 07.07.2010 folgende Resolution verabschiedet: "Der deutsche Bundestag bedauert, dass die in der NS-Zeit verschärfte Fassung des § 175 im Strafrecht der Bundesrepublik Deutschand bis 1969 unverändert in Kraft blieb. In beiden Teilen Deutschlands wurde eine Auseinandersetzung mit dem Verfolgungsschicksal der Homosexuellen verweigert. Das gilt auch für die DDR, auch wenn dort die in der NS-Zeit vorgenommene Verschärfung des § 175 bereits 1950 zurückgenommen wurde. Unter Hinweis auf die historische Bewertung zum § 175 StGB, die in der Plenardebatte anlässlich seiner entgültigen Streichung aus dem Gesetzbuch im Jahre 1994 abgegeben wurde, bekennt der deutsche Bundestag, dass durch die nach 1945 weiterbestehende Strafdrohung homosexueller Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.""
Autor
Stephan Czibulinski
Geschichtswerkstatt queeres Brandenburg
2014
Quellen