„Die Würde von Homosexuellen, die aufgrund des berüchtigten § 175 verurteilt wurden, wurde viel zu lange angetastet. Nach 1945 wurden in Ost und West aufgrund dieses Paragraphen rund 70.000 Menschen bestraft, Menschen, deren einziges Verbrechen ihre sexuelle Identität war. Das unsägliche Leid, das die Strafverfolgung angerichtet hat, kann niemand wiedergutmachen. Die Rehabilitierung bleibt deshalb ein Symbol. Das Wissen um das Unrecht der Vergangenheit schärft unsere Sinne dafür, wenn auch heute Menschen wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert, ausgegrenzt und verfolgt werden.“


Heiko Maas, Bundesminister für Justiz und für Verbraucherschutz im Jahr 2017


1871

Einführung des § 175 RStGB durch den Deutschen Reichstag am 15. Mai 1871

„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen zwei Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit dem Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“

 


1935

Im Jahr 1935 verschärfen die Nationalsozialisten den § 175 mit der Begründung der „sittlichen Gesunderhaltung des Volkes“. Die Höchststrafe wurde im Zuge einer Umdefinierung vom Vergehen zum Verbrechen von vier Jahren auf fünf Jahre Gefängnis heraufgesetzt. 

Durch Streichung des Adjektivs „widernatürlich“ wurde die traditionsreiche Beschränkung auf beischlafähnliche Handlungen aufgehoben. Der Straftatbestand galt nun als erfüllt, wenn „objektiv das allgemeine Schamgefühl verletzt und subjektiv die wollüstige Absicht vorhanden war, die Sinneslust eines der beiden Männer oder eines Dritten [zu] erregen“. Eine gegenseitige Berührung war nicht mehr erforderlich.

 


1949

Beschluss des Berliner Kammergerichts der DDR zur Nicht-Anwendung des § 175 RStGB in der von den Nationalsozialisten verschärften Form von 1935. Die §§ 175 und 175a RStGB werden in der nationalsozialistischen Fassung von 1935 offiziell im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik beibehalten.


1957

Praktische Außerkraftsetzung des § 175 in der DDR durch ein Strafrechtsänderungsgesetz, das von der Strafverfolgung bei Fällen von § 175 absieht.


1968

Änderung des § 175 StGB-DDR zu § 151 StGB-DDR
Dieser setzte das „Schutzalter“ für gleichgeschlechtliche Handlungen beiderlei Geschlechts auf das 18. Lebensjahr fest.


1969

Entschärfung des § 175 StGB in der BRD auf die Strafbarkeit homosexueller Handlungen zwischen Männern mit dem „Schutzalter“ von 21 Jahren.  

Aufhebung und Streichung des § 151 StGB durch das Oberste Gericht der DDR, da Homosexualität wie Heterosexualität eine Variante des Sexualverhaltens darstellt. Die früheren Urteile bleiben rechtskräftig.


1994

Aufhebung und Streichung des § 175 StGB der Bundesrepublik Deutschland. Die Urteile bleiben rechtskräftig.


2002

Aufhebung der Urteile nach § 175 RStGB zwischen 1935 und 1945 durch das Gesetz zur Aufhebung von nationalsozialistischen Unrechtsurteilen in der Strafrechtspflege.


2015

Beschluss der 86. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister der Länder zur „Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer von Strafverfolgung wegen homosexueller Handlungen“.

Beschluss des Bundesrates für „Maßnahmen zur Rehabilitierung und Entschädigung der nach 1945 und in den beiden deutschen Staaten gemäß §§ 175, 175a Nr. 3 und 4 des StGB und gemäß § 151 des StGB-DDR verurteilten Menschen“.


2017

Start des Gesetzgebungsverfahrens für ein Rehabilitierungsgesetz und Beschlussfassung des Bundestages am 22.06.2017.

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