Krupp auf Capri
Vorwärts und nicht vergessen - Die Haltung der Arbeiterbewegung und deren beider großen Parteien (SPD und KPD) zur Homosexualität und zum § 175
Am 15.11.1902 schrieb der Vorwärts (Zeitung der SPD) einen Artikel über Friedrich Alfred Krupp und seine Homosexualität, die er auf Capri auf seinen Besitzgütern ohne rechtliche Folgen ausüben konnte. Aufgedeckt wurde dieser "Skandal" von der italienischen Zeitung "die Propaganda". Der Artikel kritisiert auf der einen Seite den § 175, auf der anderen Seite findet sie das Verhalten von Krupp pervers und zeigt die Dekadenz der herrschenden Klasse auf.
Vorwärts, 15.11.1902
"Unter dem Einfluss der kapitalistischen Macht kann eine unglückliche Veranlagung, die den Besitzlosen niederdrückt oder gar zerschmettert, zu einem furchtbaren Quell der Korruption werden, die dann aus einem persönlichen Schicksal eine öffentliche Angelegenheit gestaltet"
"Das grauenhafte Bild kapitalistischer Beeinflussung wird dadurch nicht sonderlich milder, dass man weiß, es handelt sich um einen pervers veranlagten Mann. Denn das Mitleid, das das Opfer einer verhängnisvollen Natur-Irrtums verdient, muss versagen, wenn die Krankheit zu ihrer Befriedigung Millionen in ihre Dienste stellt."
"In einer verschwenderisch ausgestatteten Villa - wir geben nur einige der notwendigen Einzelheiten wieder, die unser italienischer Korrespondent uns berichtet - huldigt er mit den jungen Männern der Insel h o mo s e x u e l l e n V e r k e h r"
"Solange Herr Krupp in Deutschland lebt, ist er den Strafbestimmungen des § 175 verfallen. Nachdem die Perversität zu einem öffentlichen Skandal geführt hat, wäre es die Pflicht der Staatsanwaltschaft, sofort einzugreifen. Vielleicht erwägt man jetzt, um diesen das Rechtsgefühl verletzende Widerspruch zwischen Gesetz und Anwendung des Rechtes zu beseitigen, die Beseitigung des § 175, der das Laster nicht ausrottet, aber das Unglück zur furchtbaren Qual verschärft."
Unter Einfluss des Eulenberg Skandals, bei dem hohe Vertraute des Kaisers wegen §175 belastet wurden, sprach A. Bebel 1907 im Reichstag von der "Verseuchung ganzer Regimenter" und fuhr fort "hier müsse endlich mit Eisen, mit glühenden Eisen, ausgebrannt werden". A. Bebel unterschied in dieser Rede zwischen den guten Homosexuellen, also die so veranlagten und den schlechten Homosexuellen, die ihre Homosexualität erworben haben. Weiter wies A. Bebel auf unterschiedliche Anwendung des § 175 im Bezug auf die soziale Herkunft der Angeklagten hin. So waren August Bebel und andere Sozialdemokraten der Meinung, dass die erworbene Homosexualität eine Dekadenz des Kapitalismus sei, und hauptsächlich bei der Bourgeoisie vorkomme.
Auf der anderen Seite unterstützt A. Bebel 1898 als führender Sozialdemokrat eine von Magnus Hirschfeld eingereichte Petition. Er begründete das mit der ungleichen Behandlung der sexuellen Ausrichtung. Also über den legalen heterosexuellen Verkehr und den strafbaren homosexuellen Verkehr unter Männern.
Selbstverständlich gab es auch in der SPD andere Auffassungen. So zum Beispiel Reichtagsabgeordneter Thiel, der in der Reichtagsdebatte über den § 175 folgendes sagte: "Wir begreifen es vielleicht als nicht homosexuelle Belangte nicht, dass der Mann mit dem Mann in geschlechtlichen Verkehr treten kann. Was würden wir wohl sagen, wenn die Homosexuellen in der Mehrheit wären und Gesetze machten und sagte: die heterosexuelle Betätigung des Geschlechtsleben ist etwas abnormales." Mit dieser fortschrittlichen Meinung befand sich Thiel in der SPD allerdings in einer Minderheit.
Autor
Stephan Czibulinski
Geschichtswerkstatt queeres Brandenburg
2014
Quellen