Die Moltke-Eulenberg-Affäre

Im Kaiserreich wurde der § 175 auch gerne zur Verleumdung genutzt, um unliebsame Personen loszuwerden. Als Beispiele seien die Moltke-Eulenberg- und die Krupp-Affäre genannt. Begonnen hatte die Moltke-Eulenberg-Affäre am 17.11.1906 mit dem Artikel "Präludium" von dem Journalisten Maximilian Harden in der Wochenschrift Zukunft. In diesem Artikel hat Harden den "Liebenberger Kreis" kritisiert. Der Liebenberger Kreis war ein Zusammenschluss von Personen, die sich um Kaiser Wilhelm II. scharten und sich in der "Liebenburger Tafel" trafen. Hauptperson war der 59-jährigen Fürst Philipp zu Eulenberg-Hertefeld.


Fürst Philipp zu Eulenberg-Hertefeld

wurde am 12.02.1847 in Königsberg geboren. Als erstes absolvierte er eine Offizierslaufbahn. Danach studierte er Jura in Leipzig und Straßburg. Im Jahre 1877 trat er in den preußischen  diplomatischen Dienst ein. Seit 1894 war er Diplomat in Wien, wo er 1903 aus dem diplomatischen Dienst ausschied. Ab 1886 lernte er den Kaiser Wilhelm II. kennen. Zwischen ihnen entstand eine Freundschaft. In dieser Zeit wurde die Liebenberger Tafelrunde auf dem Schloß und Gut Liebenberg, das Philipp zu Eulenberg-Hertefeld gehörte, ins Leben gerufen. 

Dem Zirkel gehörten Mitglieder der preußischen Aristokratie an, so z. B. August und Botho zu Eulenberg, Kuno von Moltke, Baron Axel von Varnbühler, Georg von Hülsen-Häseler, Emil Graf von Schlitz, Alfred von Bülow, Gustav von Kessel, Graf Eberhard zu Dohna-Schlobitten. Oft war auch Kaiser Wilhelm II. zu Gast, der in der Tafelrunde Liebchen genannt wurde. Die Runde war durch eine konservative, elitäre aristokratische, nationalistische und von Rassenlehre durchdrungene Haltung geprägt. Es gab auch Gerüchte, dass einzelne Mitglieder füreinander homosexuelle Zuneigung empfanden. Explizit wurde Philipp von Eulenburg-Hertefeld und Kuno von Moltke (Stadtkommandant von Berlin) eine homosexuelle Beziehung nachgesagt.


Eine Woche nach dem Artikel vom 17.11.1906 schrieb Maximilian Harden erneut einen Artikel als fingiertes Gespräch frei nach Goethes Faust:

"Der Harfner: "Hast du gelesen?"
Der Süße: "Schon Freitag."
Der Hafner: "Undenkbar! Aber sie lassn es überall abdrucken. Sie wollen uns mit aller Gewalt an den Hals."
Der Süße: "Eine Hexenzunft. Vorbei! Vorbei!"
Der Harfner: Wenn nur ER nichts davon erfährt."

Mit ER war Kaiser Wilhelm II. gemeint. Hardenberg wollte mit diesem Artikel Eulenberg und Moltke zeigen, dass er über belastendes Material verfüge und verlangte, dass sich die Tafelrunde aus dem politischen Geschäft raushalten solle, andernfalls würde er damit an die Öffentlichkeit gehen. Philipp von Eulenberg-Hertefeld ging in die Schweiz und man dachte, dass die Affäre vorüber sei. Doch als Philipp von Eulenberg-Hertefeld wieder nach Deutschland kam, wurde die Kampagne von Harden wieder aufgenommen. Harden schrieb am 13.04.1907 einen Artikel darüber, dass Liebenberger Tafelrunde dem Kaiser geraten habe in der Marokkokrise zurückzuweichen, statt einen Krieg zu entfachen. Neben dieser Kritik spielte Hardenberg in diesem Artikel auch auf die Homosexualität der Liebenberger Tafelrunde an. Wörtlich schrieb er: "Die träumten nicht von Waldbränden sie haben es schon warm genug." Da Homosexualität im prüden Kaiserreich verpönt und nach § 175 strafbar war, ging der Plan Hardens, einen Skandal zu entfachen, auf. 

Als der Kaiser Wilhelm II. davon erfuhr, entließ er Kuno von Moltke aus seinen Ämtern und Philipp von Eulenberg kündigte er seine Freundschaft, um zu vermeiden, dass er in diesen Skandal miteinbezogen wird. Philipp von Eulenberg versuchte mit einer Selbstanzeige  bei der Staatsanwaltschaft Prenzlau den Vorwurf der Homosexualität (§ 175) zu entkräften. Weil der Staatsanwalt ein Freund von Philipp von Eulenberg war, konnte er sich sicher sein, dass die Unschuld festgestellt wird. Kuno von Moltke klagte Maximilian Harden wegen Beleidigung an. Der ließ sich von Rechtsanwalt Max Bernstein vertreten, einem Könner auf seinem Gebiet. Als Kronzeugin wurde die frühere Frau von Moltke, eine Freifrau von Elbe, verhört. Die hatte nichts besseres zu tun, als ihren ehemaligen Gatten als "Perversling" darzustellen. Als Gutachter wurde der Sexualforscher und Gegner des Paragraphen 175 Magnus Hirschfeld benannt. Er bescheinigte von Moltke eine nicht bewusste Homosexualität. Maximilian Harden wurden freigesprochen. 

Sofort nach dem Urteil hat von Moltke Widerspruch eingelegt und die Staatsanwaltschaft leitete ein erneutes Verfahren ein. In diesem Prozess versuchte man die frühere Ehefrau von Moltke durch medizinische Gutachten in ihrer Glaubwürdigkeit zu erschüttern. Auch der wieder ernannte Magnus Hirschfeld konnte seine frühere Diagnose nicht aufrecht erhalten. Somit wurde Maximilian Harden zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Der wiederum heckte mit seinem Anwalt den Plan aus, Eulenberg des Meineids zu überführen. Sie wollten von einem drittklassigen Münchener Journalisten einen fingierten Artikel schreiben lassen, um einen Beleidigungsprozess zu erwirken. Am 23.03.1908 veröffentlichte der Redakteur Anton Städele in einer kleinen Münchener Zeitung einen Artikel, dass Maximilian Harden von Eulenberg eine große Geldsumme erhalten habe, um künftig zu schweigen.

In diesem Beleidigungsprozess, bei dem es nicht um den Journalisten Anton Städele ging, sondern um die Homosexualität von Eulenberg, nannten Harden und sein Anwalt zwei Zeugen, die bezeugen sollten, dass sie mit von Eulenberg Geschlechtsverkehr hatten. Der Plan ging auf, M. Harden wurde freigesprochen. Damit hatte der Ausgang des Prozesses für Philipp von Eulenberg-Hertefeld katastrophale Folgen und seine gesellschaftliche Stellung war ruiniert. Die Staatsanwaltschaft Berlin eröffnete ein Verfahren gegen von Eulenberg wegen Meineides. Der Prozess wurde aber wegen gesundheitlicher Probleme von Eulenbergs verschoben. Aber auch der zweite Prozess wurde wegen der gesundheitlichen Probleme von Eulenbergs abgebrochen und bis zu seinem Tod im Jahre 1921 nicht wieder aufgenommen.

Die Frage ist nicht, ob die handelnden Personen schwul waren oder nicht, sondern nur die Behauptung, dass es so sei, reichte aus, um Karrieren im Kaiserreich zerstören zu können. Es zeigt die homophobe Stimmung im Kaiserreich. Die Öffentlichkeit dieser Affäre hatte für männliche Homosexuelle durchaus den Vorteil, dass das Thema Homosexualität in der Bevölkerung verankert wurde und nicht mehr tabuisiert werden konnte. Außerdem zeigt die Affäre auch den Antisemitismus bestimmter Kreise im Kaiserreich. Da der Anwalt von Maximilian Harden und Magnus Hirschfeld der jüdischen Religion angehörten, verbreitete von Eulenberg antisemitische Äußerungen und ein Teil der nationalgesinnten Zeitungen schrieb antisemitische Artikel.

 


Autor
Stephan Czibulinski
Geschichtswerkstatt queeres Brandenburg
2014


Quellennachweise

 

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