Mädchen in Uniform
30.11.2025, 19:30 Uhr
Filmmuseum Potsdam, Marstall Breite Str. 1a, Kartentelefon: 0331 271 81 12
Mädchen in Uniform
Zuvor: »Ich will aber gerade vom Leben singen...«
Die 14-jährige Manuela wird auf ein Potsdamer Internat geschickt. Hier herrscht preußische Disziplin. Unter der autoritären Kälte leidend findet sie Zuflucht bei ihrer Lehrerin Fräulein von Bernburg, die ihr als einzige Verständnis entgegenbringt. Als Manuela sich in ihre Lehrerin verliebt und dies bekannt wird, erfährt sie dramatische Konsequenzen.
Die Literaturverfilmung wurde an Potsdamer Originalschauplätzen gedreht, hatte Anfang der 1930er Jahre großen internationalen Erfolg und gilt als erster Film überhaupt, der offen lesbische Liebe thematisiert. Die österreichische Regisseurin Leontine Sagan untersucht die zerstörerischen Folgen repressiver Erziehungssysteme und begegnet ihrer sensiblen Hauptfigur voller Empathie und Menschlichkeit. Der Ausblick des Films auf mögliche gesellschaftliche Veränderung hin zu mehr Queerfreundlichkeit war 1931 gerade noch möglich.
R: Leontine Sagan, D: Hertha Thiele, Dorothea Wieck, Erika Mann, D 1931, dt. Fassung mit engl. UT, 88‘
Einführung: Manuel Schubert (taz)
Das Trauma von Potsdam – Einige Gedanken zu MÄDCHEN IN UNIFORM
von Manuel Schubert
Am 30. November 2025 zeigte das queere Filmerbefestival „Als Queer Schwarzweiß war“
das legendäre lesbische Drama MÄDCHEN IN UNIFORM von 1931. Das Filmmuseum
Potsdam und der Potsdamer Katte e.V. hatten mich eingeladen, vor dem Screening eine
Einführung zum Film zu halten. Nachfolgend dokumentiere ich das Manuskript der
Einführung. Hinweis: Der Text wurde für eine bessere Lesbarkeit und verständlichkeit
minimal gekürzt und bearbeitet.
–
Hallo auch von mir und herzlich willkommen nochmal hier im wunderbaren Filmmuseum
Potsdam. Wenn ich diesen Input, den ich euch hier heute Abend geben darf,
überschreiben müsste, dann würde da stehen: Das Trauma von Potsdam – Einige
Gedanken zu MÄDCHEN IN UNIFORM
Manuela
Lasst mich mit einem Zitat gleich aus den ersten Minuten des Films beginnen: „Sie ist
schon etwas sonderbar empfindlich und hat ihre Gedanken nie beisammen."
Die hier Adressierte ist Manuela. Genauer: Manuela von Meinhardis. Offizierstochter und
Halbwaise. Ihre Mutter verstarb früh. Ihr Vater, der Militär, hat von Mädchenerziehung
keine Ahnung. So landet unsere Manuela mit vierzehneinhalb, wie sie betont, im
Mädchenstift. Dorthin geschafft von ihrer gestrengen Tante, die Manuelas Emotionalität
sehr offenkundig anstößig findet.
MÄDCHEN IN UNIFORM ist eine ziemlich faszinierende Veranstaltung. Für die
Beschäftigung mit diesem Film bieten sich diverse und höchst unterschiedliche Blickwinkel
an. Und jeder dieser Aspekte bietet genug Stoff für einen abendfüllenden Vortrag. Aber wir
haben hier heute nur rund 15 Minuten, also können wir nur ein paar Schlaglichter werfen.
Was ich damit auch sagen will: Ich empfehle euch sehr, eine eigene kleine
Recherchereise für MÄDCHEN IN UNIFORM zu starten, denn es gibt verdammt viel
spannendes Material zu entdecken.
Dieser Vortrag hier basiert im Groben auf den öffentlich verfügbaren filmgeschichtlichen
Infos zu Film und Macherinnen, auf der Forschung der Filmwissenschaftlerinnen Karola
Gramann und Heide Schlüpmann sowie auf einem beeindruckenden und bis heute
erstaunlich aktuellen Essay der legendären lesbischen Filmkritikerin B. Ruby Rich von
1981. Das ist übrigens jene B. Ruby Rich, die rund zehn Jahre später den Begriff des New
Queer Cinema prägen sollte.
Aber zurück zu Manuela. Gespielt, damals, 1931, von der etwa 22-jährigen Hertha Thiele.
Den Älteren unter euch, gerade denen mit DDR-Biografie, wird dieser Name vielleicht
bekannt vorkommen. Denn Hertha Thiele, die während des deutschen Faschismus ins Exil
ging, erst in den 1960ern zurückkehrte und sich dann in der DDR niederließ, war eine
bekannte Größe im DDR-Fernsehen. Diverse Theaterbühnen der DDR wusste sie
ebenfalls mit beeindruckenden Performances zu füllen. Doch ihren wirklich großen Star-
Moment, den brachte ihr Manuela in MÄDCHEN IN UNIFORM.
Der Humus
Manuela wird also in dieses Mädcheninternat abgeschoben und erfährt schnell, dass
durch die eher schattigen Flure dieser Bude ein eisiger Wind aus Drill und Disziplin weht.
Und nicht zuletzt: Armut.
Die Leiterin dieser Anstalt, die Oberin, mit vollem Körpereinsatz gespielt von der
begnadeten Emilie Unda, führt das Haus mit stählerner Härte, mit emotionaler Kargheit
und minimalstem finanziellen Aufwand.
Noch ein Zitat aus dem Film: „Armut schändet nicht, sie ehrt. Das ist wieder der Sinn des
wahren Preußentums geworden, wie es früher gewesen ist. Durch Zucht und Hunger,
durch Hunger und Zucht werden wir wieder groß werden. Oder gar nicht.“
Ich habe mir diese Szene, in der die Oberin ihre Überzeugungen darlegt, mehrfach
angeschaut. Und jedes Mal lief es mir dabei kalt den Rücken runter. Denn hier spiegelt
sich in meinen Augen sehr deutlich der gesellschaftliche Humus, auf dem der deutsche
Faschismus wachsen konnte und zur Macht kommen würde.
MÄDCHEN IN UNIFORM wurde 1931 gedreht. Also zwei Jahre nach Ausbruch der großen
Weltwirtschaftskrise und 12 Jahre nachdem der deutsche, der preußische Militarismus –
die Moltkes, die Hindenburgs und Ludendorffs jener Zeit – in grotesker
Selbstüberschätzung und mit unbändigem Kriegshunger den halben Kontinent, das Land,
die Gesellschaft, die Wirtschaft und nicht zuletzt die eigenen Truppen ruiniert und
vernichtet hatten. Preußens „Stolz" lag in Trümmern. Der Hunger nach Wiederaufstieg zu
alter Größe war immens – und traf schließlich auf einen extrem problematischen
Österreicher.
1941, zehn Jahre nach MÄDCHEN IN UNIFORM, würde Bertolt Brecht mit seinem Stück
„Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ folgenden Satz als Warnung prägen: „Der Schoß
ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“ Im Film wird die Oberin ihr Erziehungsziel auf
einen einfachen Punkt bringen: Aus Soldatenkindern sollen, „so Gott will“, Soldatenmütter
werden.
Dieser Figur geht es, das wird hier sehr deutlich herausgestellt, nicht einfach bloß um die
Erziehung von höheren Töchtern. Diese Mädchen sollen so gedrillt werden, dass sie
Preußens Armee treue Kämpfer liefern können. Der Schoß soll fruchtbar gemacht werden.
Hitlers Kirche
Wo wir gerade schon bei Gott waren: Der Film steigt mit einer visuell sehr schön gebauten
Montage von Gebäuden ein, die wir hier in Potsdam alle kennen. Gebäude, die für jenes
Preußentum geschaffen wurden, mit dem MÄDCHEN IN UNIFORM abrechnet. Diese
Montage zeigt auch eine gewisse Kirche, eine Kirche, die nicht wenige in Potsdam und
darüber hinaus inzwischen schlicht „Hitlers Kirche“ nennen. Und eine Kirche, deren
grässliche Replik hier kaum 100 Meter die Straße runter steht.
Wenn wir die damalige zeitgenössische Rezeption von MÄDCHEN IN UNIFORM als einer
veritablen Anklage von Preußentum, Militarismus und Faschismus in unsere Zeit
übertragen, dann gemahnt uns dieser Film heute dafür zu sorgen, dass diese Kirche,
dieser Klon da hinten, „Hitlers Kirche“, dass dieses Teil nicht zukünftig zu Höckes Kirche
wird. Dass keine Kirche, kein Stadion, kein Parlament, kein Platz, keine Straße, nicht mal
eine verdammte Gasse zu Höckes Ort wird.
Anders als die andern
Aber. Moment. Seht ihr, was hier gerade passiert?
Wir sind kaum 5 Minuten im Vortrag und ich mache genau das, was damals die
Öffentlichkeit, die Kritik mit MÄDCHEN IN UNIFORM machte: Ich konzentriere mich auf
nur die eine, die antifaschistische, antimilitaristische Lesart des Films.
Diese ist nicht falsch, ganz im Gegenteil. Sie ist unübersehbar und verdient jede
Betonung. Aber sie ist – nicht vollständig.
Dennoch dauerte es bis weit in die 1970er und bis zum Aufblühen der modernen Frauen-
und Lesbenbewegungen, ehe die Rezeption, die Beschäftigung mit diesem Film, den
wahren Kern der Story nach vorne stellte: Wir haben es bei MÄDCHEN IN UNIFORM mit
einer lesbischen Coming-of-Age-Story zu tun. Die Soldatentochter Manuela ist anders als
die andern.
Christa
Kommen wir zu Christa. Christa Winsloe. Geboren am 23. Dezember 1888 in Darmstadt
und in eine eher großbürgerliche Familie. Tochter eines deutschen Offiziers. Ihre Mutter
starb, als Christa 11 Jahre alt war. Ihr Vater schickte sie fort nach Potsdam, in den
damaligen Kaiserin-Augusta-Stift. Ein Ort, der für Christa Winsloe offenkundig zu einer
traumatisierenden Erfahrung wurde.
Anders formuliert: Manuelas Geschichte ist Christas Geschichte.
Christa Winsloe hat das Drehbuch für MÄDCHEN IN UNIFORM geschrieben. Allerdings
war dies damals kein originärer Stoff mehr. Schon zu jener Zeit galt in der Filmbranche,
was heute gang und gäbe ist: Warum neue, originäre Stoffe verfilmen, wenn man auf den
Erfolg von existierendem Material einfach draufsatteln kann?
In diesem Fall kam die Vorlage von einem Theaterstück, das ursprünglich unter dem Titel
„Ritter Nérestan“ 1930 in Leipzig uraufgeführt wurde und in den Folgejahren auch in
Berlin, Hamburg und Wien zur Aufführung kommen sollte. Geschrieben wurde dieses
Stück wiederum von: Christa Winsloe.
Vom autobiografischen Theaterstück zum autobiografischen Drehbuch zum – das kam
dann nach dem Film – autobiografischen Roman. Heute würde mensch wohl sagen, dass
Christa Winsloe die gesamte mediale Wertschöpfungskette jener Zeit mitgenommen hat.
Damals indes war ihr der wirtschaftliche Erfolg nicht vergönnt.
Egal in welcher Form, immer steht die Geschichte von Manuela im Zentrum, die am
falschesten aller Orte sehnlichst nach mütterlicher Geborgenheit sucht, aber stattdessen
etwas ganz anderes und Unerwartetes findet: sich selbst. Und ihre erste große Liebe, ihre
Lehrerin Fräulein von Bernburg.
Oder kurz zusammengefasst: Junge Frau trifft ältere Frau und verliebt sich so dermaßen
energiegeladen und Hals über Kopf, dass die bestehende Ordnung aus den Angeln
gehoben wird. Exzessives Liebesverlangen gegen die brachiale Lieblosigkeit des
patriarchalen Militarismus.
Blockbuster
Warum das alles der damaligen Kritik keine besondere Erwähnung wert war, darüber
lassen sich heute natürlich diverse begründete Mutmaßungen anstellen. Aber das ist
irgendwie auch egal, denn Fakt ist: Das Publikum war begeistert und MÄDCHEN IN
UNIFORM wurde zum Hit. Mehr als das. Es wurde ein Blockbuster.
Es war der wohl wirtschaftlich erfolgreichste Film des Jahres 1932 in Deutschland. Und
der Erfolg reichte weit über Deutschland hinaus. Der Film verkaufte sich hervorragend in
zahlreiche Länder, auch in die USA und sogar bis nach Japan. Die globale Verbreitung ist
wahrscheinlich auch einer der Gründe, warum der Film die Kriegszeit überlebt hat. Es
waren einfach so viele Kopien im Umlauf, dass es schlicht unmöglich wurde, ihn
verschwinden zu lassen.
Allerdings: Selbst im sogenannten Dritten Reich war MÄDCHEN IN UNIFORM noch
überraschend lange in den Kinos präsent. Einer der Gründe dafür dürfte in der Person des
Carl Froelich liegen.
Carl Froelich
Carl Froelich, Jahrgang 1875, war ein deutscher Film- und Kameratechnik-Pionier und
ebenso ein erfolgreicher Regisseur und Produzent. Seine ersten Arbeiten als
Kameramann datieren auf die frühen 1910er-Jahre. Seine Filmografie als Regisseur war
schier endlos. Und viele der Arbeiten fanden großen Anklang beim Publikum. Man kann
durchaus sagen, dass er ein Gigant des deutschen Films jener Zeit war.
Warum suchte sich dieser Typ Christa Winsloes Geschichte für ein Filmprojekt aus? Ich
denke, wir können hier zurecht vermuten, dass er einfach ein gutes Gespür für
erfolgversprechende Stoffe hatte. Und Geschäftssinn hatte er auch. Skrupel dafür weniger.
Wir sprachen letztes Jahr an dieser Stelle hier im Filmmuseum über das Drama ANDERS
ALS DIE ANDERN von Richard Oswald. Auch Oswalds Story über eine tragische schwule
Liebesgeschichte war ein veritabler Erfolg an der Kinokasse. Das Publikum der damaligen
Zeit, es scheint ein großes Interesse für eher ungewöhnliche Geschichten gehabt zu
haben.
Zumal im wilden Berlin, dessen riesige nicht-heterosexuelle Subkultur, trotz all der
staatlichen Repression, eine verlässliche Bank war für Filme abseits ausgelatschten
Pfade. Bei der lesbischen Community mag es damals aber vielleicht auch schon gereicht
haben, wenn die Dietrich über die Leinwand flanierte. So oder so, Froelich, der Produzent,
wird all das mit Sicherheit genau beobachtet haben.
Im Fall von MÄDCHEN IN UNIFORM dürfte es außerdem von Vorteil gewesen sein, dass
er sich quasi ins gemachte Nest setzen konnte. Das Stück von Christa Winsloe hatte
bereits ein gewisses Renommee. Und Froelich organisierte sich nicht nur die Geschichte,
er kaufte auch gleich noch die Autorin als Drehbuchschreiberin mit ein.
Außerdem besorgte er sich mit der österreichisch-ungarischen Theatermacherin Leontine
Sagan eine Frau als Regisseurin, die Winsloes Stück bereits erfolgreich in Berlin
inszeniert hatte.
Das „Kollektiv“
Der Legendenstatus von MÄDCHEN IN UNIFORM beruht heute auch darauf, dass die
Produktion als Kollektiv organisiert wurde und abseits großer Studio-Systeme der
damaligen Zeit.
Allerdings sollten wir nicht allzu viel in diese Kollektiv-Story hineininterpretieren. Denn
dieses „Kollektiv“ war eher monetärer Natur und sorgte vor allem dafür, dass Carl Froelich
von den massiven Einnahmen des Films profitierte. Während die anderen Beteiligten –
Winsloe, Sagan und die Darstellerinnen – mit lächerlichen Beträgen abgespeist wurden.
Oder um es zugespitzt zu formulieren: Carl Froelich hat sich hier mit minimalem
finanziellen Einsatz einen „Frauenfilm“ gegönnt und dabei die Frauen vor allem
ausgebeutet und betrogen.
Aber nicht nur das: Er griff ins Casting ein und setzte Hertha Thiele als Hauptdarstellerin
gegen den Willen von Leontine Sagan durch. Und er wies Christa Winsloe an, das Ende
der Geschichte massenkompatibler umzuschreiben.
Der Film präsentiert uns heute eine Art Happy End, das für sich genommen auch sehr gut
funktioniert. Aber in der Theatervorlage von Winsloe gibt es dieses Happy End nicht.
Manuelas Geschichte endet eigentlich tragisch. Auch aus diesem Grund brachte Christa
Winsloe die Geschichte nach Erscheinen des Films nochmal als Roman raus – um das
Ende richtigzustellen. Mit mäßigem Erfolg auf dem Büchermarkt.
Der Opportunist
Carl Froelich machte nach den MÄDCHEN weiter munter Karriere und hatte keine
Probleme damit, sich im deutschen Faschismus einzurichten. Mehr noch: 1939 wurde er
zum Präsidenten der Reichsfilmkammer ernannt. Der Auftrag dieser „Kammer“ war simpel:
die totale Kontrolle und Überwachung der deutschen Filmwirtschaft – in Goebbels' Auftrag.
Die Alliierten quittierten Froelichs widerwärtigen Opportunismus mit drei Jahren Lagerhaft.
Er galt als schwer belastet und wurde erst 1948 offiziell „entnazifiziert“. Bis zu seinem Tod
1953 sollte er noch zwei weitere Filme drehen.
Dorothy
1953 war Christa Winsloe bereits lange tot. Der Aufstieg der Faschisten brachte ihr
Berufsverbot, Flucht und Armut. Aber auch eine spannende Beziehung, die ihr
vorübergehend das Leben retten sollte. 1932 – bei einer Weihnachtsfeier in der Nähe von
Wien – traf sie die US-amerikanische Journalistin Dorothy Thompson wieder, die sie
bereits in den 1920er Jahren in Ungarn kennengelernt hatte. Die beiden Frauen verliebten
sich Hals über Kopf. Fast so wie Manuela.
Thompson arbeitete seit den 1920ern als Korrespondentin in Deutschland. 1931 führte sie
sogar ein Interview mit Adolf Hitler, den sie wie folgt charakterisierte: „Er ist formlos, fast
gesichtslos, ein Mann, dessen Antlitz eine Karikatur ist, ein Mann, dessen Gerüst
knorpelig zu sein scheint, ohne Knochen. Er ist inkonsequent und redselig, unsicher und
ohne Haltung. Er ist der Prototyp des kleinen Mannes.“
Hitler hat Dorothy Thompson diese Beschreibung nie verziehen. Dabei hat sie ihn
zunächst unterschätzt – sie dachte nach der Begegnung 1931 nicht, dass diese verhärmte
Gestalt allen Ernstes zum Diktator aufsteigen würde: „It is the mistake of a whole
generation to think that this man is a giant. He is not. He is a drummer boy risen too high.“
Sie korrigierte sich später und wurde zur scharfen Kritikerin und Warnerin vor Hitler. 1934
schmissen die Nazis sie endgültig aus dem Land. Doch da war Thompson mit ihrer
damalige Geliebten, der Sozialdemokratin und offen lesbisch lebenden Christa Winsloe,
schon in die USA ausgereist.
Exil
Aber die Beziehung der beiden hielt nicht lange. Wie so viele andere deutsche Emigranten
auch, gelang Winsloe in Amerika kein Neuanfang. Heimweh plagte sie, und schließlich
kehrte sie nach Europa zurück. Allein.
Sie landete nach einigem Hin und Her an der Côte d'Azur, engagierte sich in der
Flüchtlingshilfe und lernte eine neue Frau kennen, die zehn Jahre jüngere Schweizerin
Simone Gentet. Allerdings war an ein glamouröses Leben an der Mittelmeerküste nicht zu
denken. Die beiden Frauen waren nahezu mittellos und mussten sich irgendwie
durchschlagen. Dies ging so weit, dass Christa ihre alte Freundin in den USA um
finanzielle und materielle Hilfe bat, die sie auch leistete, so gut es ging.
Mit fortschreitendem Kriegsverlauf ließ die Wehrmacht alle Zivilisten von der französischen
Mittelmeerküste zwangsevakuieren. Christa und Simone versuchten deshalb, irgendwie
näher an die Schweizer Grenze heranzukommen, und landeten im ländlichen Burgund –
in der Hoffnung, dort sicherer zu sein als in den Städten. Doch der Burgund war
Schauplatz erbitterter Guerillakämpfe zwischen den Deutschen und der Résistance. Statt
Sicherheit fanden sie einen rechtsfreien Raum der Anarchie.
Das Vorurteil
Am 10. Juni 1944 – vier Tage nach der Landung der Alliierten in der Normandie – gerieten
die Frauen in die Fänge einer Bande von Kriminellen. Christa und Simone erlebten den 11.
Juni nicht mehr. Sie wurden erschossen.
In einem Gerichtsprozess versuchten sich die Täter später damit herauszureden, dass sie
die Frauen für deutsche Spioninnen gehalten hätten. Ein Vorurteil, das damals tödlich war
– und praktisch für die Täter. Die vier Männer wurden freigesprochen. Aus „Mangel an
Beweisen“.
Christa Winsloe als Nazi-Spionin? Absurder ging es kaum. Ist doch die Geschichte von
Manuela – die Erzählung einer widerständigen jungen lesbischen Liebe an einem von
Militarismus und Patriarchat durchwirkten Ort – so weit weg von Faschismus, wie es nur
geht.
Sisterhood
Oder anders formuliert: Es gibt keine Dichotomie zwischen Antifaschismus hier und
lesbischer Liebe dort. MÄDCHEN IN UNIFORM lehrt uns, dass lesbische Liebe, lesbische
Schwesternschaft und Solidarität in sich widerständig sind. Sie sind gelebter
Antifaschismus.
Erlaubt mir zum Schluss einen Appell:
Wann immer euch zukünftig für einen Moment die Motivation verlässt, die Energie, der
Wille, Widerstand zu leisten gegen reaktionäre, menschenfeindliche, faschistische Kräfte –
dann erinnert euch an diese beiden Frauen hier gleich auf der Leinwand und wie sie alle
patriarchale Autorität, die unzerstörbar zu sein schien, mit einem Akt der Liebe aus den
Angeln gehoben haben. Für eine bessere Zukunft.
Dorothy Thompson hat es damals so beschrieben: „What in God's name does one call this
sensibility if it be not love? This extraordinary heightening of all one's impressions; this
intensification of sensitiveness; this complete identification of feeling? ... I was Manuela, as
she is Manuela, and everything that has happened to her has in essence, and other
circumstances, happened to me. This incredible feeling of sisterhood.“
Vielen Dank. Eine gute Projektion.
Potsdam, 30.11.2025
Manuel Schubert, Jahrgang 1984, leitet das Marketing der Berliner Tageszeitung taz und
arbeitet außerhalb seines Brotberufs als Filmkritiker.
